Grafik: Hanna Sachau
Musiktherapeutische Konzerte an besonderen Orten
Verloren. Wenn das Schicksal überwältigt
Neue Herzräume für Ruhe, Trauer und Trost
Regensburg. Als uns die Künstlerin Anka Draugelates im letzten Frühjahr ihr Konzept zu musiktherapeutischen Konzertabenden vorstellte, die sich mit dem Thema der Trauer und Trauerbewältigung befassen, waren wir sofort beeindruckt und sehr berührt. Wir freuten uns über die Möglichkeit, das Projekt zu begleiten. Natürlich erkannten wir auch, dass die Beschäftigung mit Trauer und Trauerarbeit eine große Sensibilität aller Mitwirkenden erfordert und die Herangehensweise und die Einbindung des „Publikums“ über die für Konzerte, Theater oder Lesungen normalen organisatorischen und technischen Aufgaben des Veranstalters weit hinausgehen.
Die Förderung des Projekts durch die Stadt Regensburg im Rahmen des Jahresthemas „Großwetterlage“ und die Einbindung in das Angebot des neuen EmmeramForums, das als Ort der Begegnung, Kunst und Spiritualität konzipiert ist, sehen wir daher als zwei wesentliche Bausteine, dieser Aufgabe gerecht zu werden.
Die Konzertabende „Verloren …aufgehoben“ verstehen sich als ein Angebot für Menschen in Trauersituationen in einem geschützten Rahmen.
Verloren widmet sich den Fragen um Trauer, Verlust und Heilung. Es geht zurück auf die Ursprünge der Musik, die Gemeinschaft stiftet, Herzräume öffnet und ruhiges Innehalten ermöglicht. Die Konzerte wenden sich der Trauer behutsam zu. Trauer, die viele Formen und Ursachen haben kann. Trauer um einen Verlust eines geliebten Menschen, eines Tieres, den Verlust der Arbeit, der eigenen Gesundheit oder um eine Möglichkeit, die nicht mehr in die Welt kommen kann.
Anka Draugelates und Christoph Becker lassen zusammen mit Kilta Rainprechter meditative Klanglandschaften und Musik aus dem Moment heraus entstehen und ermöglichen damit einen Raum für Ruhe, Trauer, Trost und Hoffnung.
Trauer ist besonders schlimm, wenn sie starr und dunkel ist, wenn sie uns in Gefühle wie Ohnmacht und Einsamkeit bannt. Viele von uns tragen Trauer in sich und fühlen sich darin oft alleingelassen.
Die Möglichkeit …aufgehoben zu sein in der Gemeinschaft mit anderen Trauernden entsteht durch die Musik. Sie schafft Raum, ist ein Resonanzraum, ein Gefäß für Trauer und kann die Menschen aus der Starre in eine innere Bewegung bringen, die heilend wirken kann. Musik kann berühren, ummanteln, trösten und die Menschen mit „allem“ in Verbindung bringen, sodass wir uns nicht mehr so alleine fühlen. Durch Musik kann ein Zugang zu dem Gefühl des Getragen- und Geborgenseins und des inneren Friedens erlebt werden.
In einer zunehmend individualisierten und digitalisierten Welt bieten die Konzerte einen Ruhepunkt in Gemeinschaft, in dem jeder sich selbst und seiner Trauer begegnen kann.
Für diese Begegnungen haben wir drei besondere und besonders passende Orte ausgewählt: Unter der Westempore von St. Emmeram liegt die 1000 Jahre alte romanische Wolfgangskrypta. Im Osten hinter dem Chorraum erreicht man – mit Genehmigung des Denkmalamts – über die schmale Ringkrypta eine Unterkirche zu Ehren des seligen Ramwold: Die Ramwoldskrypta mit ihren Wandmalereien aus dem 8. und 10. Jahrhundert. St. Rupert, die ehemalige Pfarrkirche der Reichsabtei, grenzt direkt an die Basilika, man erreicht sie über die Vorhalle.
Nach den Konzerten besteht die Möglichkeit zum Austausch, zum Gespräch und zur Information über weitere Angebote und Kontaktmöglichkeiten im Trauercafé von St. Emmeram.
14. März · 19:30 Uhr · Verloren
…aufgehoben in der Wolfgangskrypta
25 Euro / 15 ermäßigt
4. Juli · 19:30 Uhr · Verloren
…aufgehoben in der Ramwoldskrypta
25 Euro / 15 ermäßigt
10. Oktober · 19:30 Uhr · Verloren
…aufgehoben in St. Rupert
25 Euro / 15 ermäßigt
- 14. März , 4. Juli und 10. Oktober jeweils um 19:30 Uhr
- verschiedene Orte rund um die Basilika St. Emmeram
- 25, ermäßigt 15*
Sollten Sie zu keiner dieser Gruppen gehören, aber eine Ermäßigung benötigen, bitten wir Sie mit uns in Kontakt zu treten; sicher finden wir eine Lösung. Da die Krypten leider nicht barrierefrei zu erreichen sind, bitten wir Personen, die eine Begleitung benötigen, mit uns Kontakt aufzunehmen.
...aufgehoben bei Anka Draugelates, Christoph Becker und Kilta Rainprechter
Durch Musik in eine innere Bewegung kommen
Anka Draugelates ist Stimmkünstlerin und Musiktherapeutin. Sie arbeitet seit 20 Jahren in der Abteilung für Psychotherapie der Danovius Klinik. Sie ist Kulturförderpreisträgerin der Stadt Regensburg und in internationalen Produktionen für Tanz, Theater und Film, der Band DUO3, sowie in Improvisationsprojekten zu hören.
Christoph Becker ist Musiker, Musikpsychotherapeut und Supervisor in verschiedenen künstlerischen und therapeutischen Kontexten. Er arbeitet in eigener Praxis und als Musiktherapeut im Gesundheitszentrum sysTelios. Die therapeutischen Wirkungen von Musik, Klang und Rhythmus in ihren unterschiedlichen kulturellen Ausprägungen begleiten und interessieren ihn schon sein Leben lang.
Kilta Rainprechter ist eine professionelle zeitgenössische Tänzerin, Choreografin und Sängerin. Als Expertin für Tanz- und Körpervermittlung unterrichtet sie an Hochschulen und Berufsfachschulen. Sie besitzt einen Master in Creative Practice Dance Professional vom renommierten Trinity Laban Conservatoire in London. Als DUO3 kreiert sie gemeinsam mit Anka Konzerte und Performances.
Die Basis für das Projekt der drei Verloren…aufgehoben ist ihre gemeinsame künstlerische Erfahrung und ihr tiefes Vertrauen in die Kunst und ins Leben. Sie lassen sich auf tiefe emotionale Prozesse ein, ohne die Leichtigkeit zu verlieren.
Verlust trifft uns alle.
Wohin mit der Trauer, der Ohnmacht und der Verzweiflung?
Das Ende: ein ständiger Begleiter im Wandel des Lebens. Wie gehen wir Menschen mit dem Ende um? Was brauchen wir, um ein (unser) Schicksal in einem gesunden Prozess zu durchlaufen?
Haben wir gesellschaftliche Antworten darauf?
Haben wir als Gesellschaft noch Zeit und Raum für Menschlichkeit und somit Kapazitäten die Trauer Betroffener zu sehen, zu hören, gar zu begleiten? Und wie lange? Für die Dauer eines Handschlags, einer Woche, eines Monats? Wer kann noch wirklich zuhören – ohne eine Meinung oder einen schnellen Lösungsansatz anzubieten, der eher der eigenen Beruhigung dient? Bekommen wir also das Leid Betroffener überhaupt mit? Manchmal scheint mir, wir sind über das Leid in der Ferne, das aus dem Fern-sehen direkt in unsere Wohnzimmer hinein strahlt, besser informiert, als über die Not eines Menschen in unserer direkten Nähe.
Wenn es uns trifft – wo verarbeiten wir einen Verlust? Gibt es noch Räume der Gemeinschaft, wo wir uns mitbekommen und unterstützen?
Das war für viele früher die Gemeinde, das Dorf, der Kiez, die Familie. Diese lebendigen sozialen Netze brechen immer mehr weg und hinterlassen eine große Lücke. Am Ende sind leider viele mit ihrem Schicksal alleine oder einfach einsam. Das macht mich zutiefst betroffen. Das musiktherapeutische Projekt verloren. ist eine Antwort auf diese große Lücke.
Als Sängerin und aus meiner Praxis als Musiktherapeutin kenne ich die heilende Wirkung von Musik. Fern von Worten und Erklärungen bietet sie einen Raum einfach da zu sein. Sie kann das Nervensystem beruhigen, wieder etwas ins fließen bringen, trösten, friedvolle und heilsame Räume öffnen.
Meine persönlichen und beruflichen Erfahrungen haben mich gelehrt, dass jede Form von Übergang auch einen Abschieds- und Trauerprozess erfordet, damit sich das Kommende wirklich kraftvoll entfalten kann. Diese Phasen können oft leichter und verbundener geschehen, wenn sie von Musik und Klang begleitet werden.
Insbesondere die Trauerphasen benötigen einen heilsamen und sicheren Rahmen, um Orientierung, Trost und Begleitung erfahren zu dürfen und die Transformation zu ermöglichen.
Aus meiner Sicht befinden wir uns als Erde und Menschheit in einem sehr radikalen Veränderungsprozess, der vielleicht nur dann im guten Sinn gelingen kann, wenn wir Trauerkompetenz entwickeln lernen.
Loslassen – Würdigen – Verabschieden – Trauern – Neubeginn.
Da Trauern ein emotionaler und geistiger Prozess ist, den wir leiblich erfahren und erleiden, kann Musik ein hilfreiches Medium sein, Zugang zu heilsamem Trost sowie neuen Lebenskräften zu fördern.
Ich möchte meinen Beitrag zur Begleitung solcher individueller und kollektiver Prozesse leisten und meinen therapeutischen und künstlerischen Umgang mit Musik in ihren unterschiedlichen Ausprägungen dafür zur Verfügung stellen. Einen gemeinsamen Raum mitzugestalten und zu halten und hierfür die Kräfte der Musik zu nutzen ist mir ein Anliegen.
Leben ist Bewegung.
Bewegung ist Veränderung.
Veränderung beinhaltet Neues.
Neues erfordert Altes.
Altes verwandelt sich.
Verliert sich.
Verlust ist Leben.
Als Tänzerin und Choreographin widme ich mich in meiner täglichen Praxis diesem Verlust. Die nächste Bewegung kann nur erfolgen, wenn die vorherige endet. Originäre Choreographien entstehen im Bewusstsein von Tradition: das Alte würdigen, verändern, verabschieden. Gesten-Zitate können sich wie Erinnerungs-Bildchen in eine neue Kreation einschleichen. Manchmal bewusst – oft auch unbewusst.
Ich erinnere mich genau an den Moment und das Gefühl, als mir klar wurde, dass ich meinen Lieblingspullover auf einem Schulfest unwiederbringlich verloren habe. Ein Stechen in der Brust, ein Ziehen, das sich bis in mein Becken erstreckt. Furchtbar. Wenn ich heute ein Foto von mir in diesem Pullover sehe, steigt wohlig warme Wehmut in mir auf. Der Pullover ist immer noch da – als körperliche Empfindung und Gefühl.
Vor 17 Jahren ist mein Vater gestorben. Ich sage seine dummen Sprüche, sehe seine Füße in meinen Schuhen, spreche mit ihm in einer sternklaren Nacht auf der Suche nach Satelliten, die er immer benennen konnte. Bedeutet verlieren verschwinden?
Verlust kann ein Verlies sein. Nicht nur in der Herkunft des Wortes. Anstatt in einer Ecke zu kauern, möchte ich mich in diesem Raum neugierig umsehen. Ich will mich dort ausbreiten und nach Löchern, Fenstern oder Türen Ausschau halten, um meine Nase in den Wind zu halten und zu atmen. Und den Vogel bemerken, der frech zu mir hinein lugt.
Hier bin ich. Am Leben.
Unser besonderer Dank geht an die Dompfarreiengemeinschaft St. Emmeram – St. Ulrich und die KEB Regensburg Stadt